Sagen der Gemeinde Bachagel

Das Stegbrunnenweible

Vor Jahren lebte in einem kleinen Häuschen, drüben am Bach, am Ende des Dorfes, in der Nähe des Bauernhofes, bei dem es nur hieß "Beim alten Jörg", eine Witwe mit ihrer Tochter. Oft hatten die beiden vom Stegbrunnenweible gehört. In dem Mädchen wurde der Wunsch wach, auch einmal das Weible zu befragen. Es hieß, dass man es nur einmal im Leben um drei Wünsche bitten könne, sie werden gewährt und erfüllen sich zu gegebener Zeit. Nur an einem Tag im Jahr wäre es möglich, an dem Tag, bevor der Mond im Frühling voll am Himmel steht. Es müsse während der Geisterstunde geschehen, die beginnt mit dem letzten Glockenschlag der Mitternacht . Jetzt erst darf das Haus verlassen werden und man muss zurückgekehrt sein, bevor der erste Ton der Kirchenuhr die erste Morgenstunde ankündet. Auf dem Hin- und Rückweg darf kein Lebewesen den Weg kreuzen, kein Mensch dich ansprechen oder befragen, nicht einmal eine Menschenseele darf davon wissen, dass du das Weible um drei Wünsche bitten willst. Kommst du so unbeschrieen nach Hause, werden sich die drei Wünsche erfüllen. Kommst du aber nur einige Augenblicke später nach Hause an, so dass die Turmuhr der Kirche mit dem ersten Glockenschlag die erste Morgenstunde ankündet, so bekommen die bösen Geister Gewalt über dich. All das wusste das Mädchen; es wusste auch von dem plötzlichen Glück anderer, die, wo wurde erzählt, nur durch die Hilfe des Stegbrunnenweible dazu kamen. Das Mädchen suchte auf alten Kalenderblättern nach dem Vollmond im Frühling, fand Namenstage, wie auch Zeichen vom Mond verzeichnet, nicht aber den Mond im Frühling. Sie fragte danach die Mutter, doch sie zeigte ihr nur den Vollmond, nannte die Namen der Zeichen Widder. Skorpion, Wassermann und sagte: "Frag nur den Hausierer, der bald mit seinem Bauchladen und Buckelkrezen (=Tragkorb auf dem Rücken) kommt, der kann es dir sagen!" - Eines Tages kam das Mädchen abends nach dem "Grechten" (=Abendfüttern der Tiere) auf dem Hof des Bauern "Beim alten Jörg" müde und hungrig mit einem Töpfchen Milch nach Hause. Da saß in der dämmrigen Stube der Hausierer. Der Buckelkrezen stand an der Ofenbank angelehnt und daneben der Bauchladen. Bunte Bänder und zahlreiche Ringeleien weckten die Neugierde des Mädchens. Die Mutter stellte eine Schale gestockter Milch auf den Tisch, holte von der "Hölle" des Ofens ein Töpfchen mit dampfenden Kartoffeln und lud den Hausierer mit zum Abendessen ein. Danach stellte der Hausierer seinen Bauchladen auf den Tisch, nahm aus einem der vielen Fächer einen Kerzenstummel, entzündete ihn, und aus einem anderen ein Kettchen mit Perlen und trat an das Mädchen heran, Die Perlen funkelten und glitzerten in allen Farben. Der Hausierer sprach: "Ich glaube, dass ich diesmal das letztemal bei euch bin. Ich bin alt und fühle mich nicht mehr wohl. Nimm du das Kettchen, halte es in Ehren; ich schenke es dir." Überglücklich bedankte sich das Mädchen. Der Hausierer war gerührt von soviel Dankbarkeit und sprach: "Dieses Kettchen mit den Perlen habe ich vor Jahren von einer alten Frau bevor sie starb geschenkt bekommen, und sie sagte: `Dir und allen, die es besitzen, wird es Glück bringen.`- Glück wünsche ich dir!" Fragen, Antworten, ernste, lustige Geschichten gingen zwischen den dreien hin und her. So stellte das Mädchen, als die Mutter dem Hausierer ein Kalenderblatt für das neue Jahr abkaufte, neben anderem auch die Frage: "An welchem Tag ist der Vollmond im Frühling?" - "Du meinst den Frühlingsvollmond", sprach der Hausierer und dabei huschte ein Aufleuchten über sein Gesicht, denn er wusste, dass er nicht fragen durfte, warum das Mädchen diese Frage stellte. Er nahm das Kalenderblatt, hielt es an das Licht der Kerze, zeigte auf den 21. März und sprach: "Hier steht: 21.März, Frühlingsanfang. Der Vollmond, der danach kommt, ist der Frühlingsvollmond. Ihn findest du nur, wenn du ein Kalenderblatt von dem jeweiligen Jahr hast - denn er ist jedes Jahr an einem anderen Tag."- Unbeschrieen hatte das Mädchen den Tag erfahren, an welchem sie das Stegbrunnenweible befragen konnte. Unbeschrieen muss es nur noch den Weg gehen.- Die drei Wünsche, die es an das Weible stellen wollte, überlegte es immer wieder. Die Mutter, die nichts davon wissen durfte, frug sie nebenbei: "Was würdest du tun, wenn wir viel Geld hätten?"- "Dir eine schöne Aussteuer kaufen", erwiderte die Mutter, "doch merke dir, Geld allein macht nicht glücklich, das siehst du, wie es dem reichen Nachbar geht. Gesundsein, arbeiten können und zufrieden sein, das ist es!"

Endlich war der Tag da, die drei Wünsche waren zurecht gelegt. Das Mädchen verleitete die Mutter zum Frühlingsstöbern der Wohnung. Es wurde geputzt, gescheuert, und am Abend war das Häuschen blitzblank. Die Mutter, so hoffte das Mädchen, sollte müde sein von der Putzarbeit und tief und fest schlafen. Spät wurde es, als die beiden zu Bett gingen, und

alsbald hörte das Mädchen die Mutter ruhig und gleichmäßig atmen. Endlich erklang der letzte Schlag der Turmuhr, der den Beginn der Geisterstunde ankündigte. Jedes Geräusch vermeidend, stieg das Mädchen aus dem Fenster, eilte auf dem Weg zum Stegbrunnen, erschrak, als Wolken den Mond verdeckten. Nun stand es am Rand des Brunnens. Wie heißt das Weible? Wie muss ich rufen? dachte das Mädchen. Da- es war, als würde das Wasser raunend sprechen: "Stegbrunnenweible" und leise, unbedacht flüsterte es: "Stegbrunnenweible". Da begann das Wasser zu wallen, und langsam tauchte aus dem Wasser des Stegbrunnen ein altes Weible mit silbergrauen langen Haaren auf und sprach: "Ich bin das Stegbrunnenweible. Was ist dein Begehr?"- Das Mädchen sprach die drei Wünsche aus, das Weible nickte mit dem Kopf und sagte: "Sie sind dir gewährt!" - Das Mädchen bedankte sich immer wieder und sah dabei dem Weible zu, wie es die silberlangen Haare kämmte und dabei langsam in den Wassern des Stegbrunnen verschwand. Da fiel ihm ein, dass es vor dem ersten Glockenschlag des Morgens zu Hause sein muss. Es rannte, so schnell die Füße laufen konnten, querfeldein nach Hause. Es kam- da schlug die Turmuhr einmal- die Geisterstunde war vorbei- vor dem Häuschen der Mutter an.

Plötzlich rauschte und polterte es ganz fürchterlich. Ein scheußliches Gesicht sah das Mädchen und hörte: "Du gehörst mit deinem Leben mir!" Da griff das Mädchen unbewusst nach dem Kettchen mit Perlen, das der Hausierer ihr geschenkt hatte, und das sie um den Hals trug- und rief: "Stegbrunnenweible!" Unversehens stand es vor dem Mädchen und sprach: "Ich kann dich von dem Bösen befreien, wenn du mir die drei Versprechen, die ich dir gab, zurückgibst. Tust du es nicht, so bleibst du dein Leben lang dem Bösen verfallen!" Das Mädchen willigte ein- das Stegbrunnenweible war verschwunden, die drei Versprechen dem Mädchen entfallen.

Am frühen Morgen kam die Mutter in die Kammer der Tochter, Da sah sie, dass die Tochter mit den Kleidern, schmutzigen Füßen und verweinten Augen im Bette lag. Das Mädchen musste der Mutter vom Geschen der Nacht berichten, welche darauf nur sagte: "Bleib rechtschaffen!- Vergiss, was war!-

Nach Jahren wurde die Geschichte von dem Mädchen ruchbar und weitererzählt.

Zurück